Mathias von Gersdorff
Seit mehreren Wochen ereifern sich unzählige Zeitungen, dem deutschen Publikum zu erklären, wie es innerhalb der katholischen Kirche aussieht und welche Reformen dringend notwendig sind. Es ist schon erstaunlich, welche Mühe sich dabei manche Journalisten geben, die wahrscheinlich der Meinung sind, die Katholische Kirche sollte gar nicht existieren. Trotzdem tun sie so, als ob sie genau wissen würden, wie es innerhalb der Kirche aussieht, welche die wichtigsten Probleme sind und wie man sie aus der Welt schaffen kann.
Für einen praktizierenden Katholiken wirkt die große Mehrheit dieser Texte seltsam unwirklich, als ob sie in einer Parallelwelt verfasst worden wären. Viele Zeitungen sind durchaus in der Lage, viele Detailinformationen über Geschichte, Traditionen und Gebräuche der katholischen Kirche abzudrucken, doch irgendwie treffen sie nicht den Kern des betrachteten Objekts. Die meisten Redakteure in den deutschen Tageszeitungen erfassen offenbar das Wesen der Kirche nicht und beschreiben sie, als ob sie von einem Verein oder eine politische Partei sprechen würden. Dementsprechend klingen die Forderungen nach Reformen, die tausendfach jeden Tag reproduziert werden: Zölibat abschaffen, Sexualmoral lockern, Haltung gegenüber Abtreibung und Homosexualität ändern und so weiter. Selbst in einigen sogenannten „Qualitätszeitungen“ sind die Kommentare über Kirche und Papst längst zu Formeln verkommen, die man ohne Reflexion wiederholt.
Falsche Vorstellungen
Wer von der katholischen Kirche nichts weiß, bekommt auf diese Weise eine Vorstellung des Lebens der Kirche, die zwar mit den Wünschen mancher Minderheiten, wie etwa „Wir sind Kirche“ (die auch nur dank der Medien überhaupt wahrgenommen werden) was Gemeinsames hat, doch nicht mit dem sich Tag für Tag real abspielenden Leben.
Wie ist der Alltag beispielsweise in einer Finanzmetropole wie Frankfurt am Main? Die am meisten besuchte Kirche Frankfurts ist die Liebfrauenkirche, die gleichzeitig Klosterkirche der Kapuzinermönche ist. Werktags gibt es dort Heilige Messen um 7:00, 10:00 und um 18:00 Uhr. Außerdem ist sie die Beichtkirche Frankfurts, denn täglich sitzt ein Kapuzinerpater dort am Vormittag und am Nachmittag im Beichtstuhl. Aus diesen Gründen ist die Kirche nie Menschenleer. Im Klosterhof befindet sich eine Statue der Madonna von Lourdes, die unbeschadet den Luftangriff auf Frankfurt im Zweiten Weltkrieg überstanden hat. Viele Menschen beten vor dieser Statue der Muttergottes. Hunderte von Kerzen werden täglich vor ihr angezündet – an wichtigen Marienfesten wie „Maria Verkündigung“ oder „Maria Himmelfahrt“ brennen sogar Tausende. Wenige Meter von dieser Statue entfernt ist der Eingang zu einer Kapelle mit dem ausgesetzten Allerheiligsten, die von 6:00 bis 22:00 offen ist. Immer sind zu diesen Stunden Beter dort anzutreffen.
Gebetet wird zu allen Tageszeiten
Ich erwähne hier bewusst Frankfurt, also eine Stadt, die nicht für ihre herausragende Frömmigkeit bekannt ist. Doch selbst in der Bankenstadt gibt es Orte in denen eine intensive und ernsthafte Religiosität gelebt wird. Wie viel mehr in Wallfahrtsorten wie Kevelaer, Walldürn oder Altötting! Oder in Innenstadtkirchen von Städten wie München.
Nun, die Menschen, die in den Orten des Gebets jeden Tag anzutreffen sind, tauchen als Einflussfaktor in den Analysen und Kritiken der deutschen Tageszeitungen so gut wie nie auf. Sie scheinen schlichtweg für die Journalisten nicht zu existieren oder sie meinen, man bräuchte sie nicht zu beachten, da sie außerhalb unserer Zeit leben.
Arroganz der Journalisten
Durch diese eingrenzende Arroganz sind aber die meisten Journalisten nicht in der Lage, gewisse Vorgänge und Einflussfaktoren innerhalb der Kirche zu verstehen. Die Menschen die Tag für Tag in die Kirche gehen, um dort die Heilige Messe zu besuchen oder und den Rosenkranz zu beten, tragen maßgeblich zur inneren Stimmung – man könnte auch sagen, zum Geist der Kirche bei und sind so ein gewaltiger Fels gegen die Verweltlichung der Kirche. Diese Menschen bilden mit ihrem Glauben und ihrer Ausdauer eine wahre Macht, die kein Pfarrer oder Bischof ignorieren darf, will er sein Territorium nicht einer Zerreißprobe unterziehen. Diese Menschen denken nicht an die Abschaffung des Zölibats oder der Duldung homosexueller Partnerschaften, sondern sie sind auf der Suche nach dem Sakralen, nach Heil und Trost für ihre Seelen und gehen in die Kirche, um eben Gott dort zu begegnen. Diese Realität, die ein Gläubiger problemlos spürt, geht viele Journalisten völlig ab und so wirken ihre Texte seltsam blutleer.
Doch ich möchte noch einen anderen Punkt anführen: Die Berichterstattung in Deutschland über die katholische Kirche geht nicht nur an der Sache vorbei, sie ist oft auch hoffnungslos provinziell. Was in hiesigen Zeitungskommentaren in penetranter Form gefordert wird, entstammt einer ausschließlich deutschen Sicht der Dinge. Insbesondere die Journalisten und Kommentatoren linksliberaler Zeitungen nehmen überhaupt nicht zur Kenntnis, dass die katholische Kirche eine Weltkirche mit 1,2 Milliarden Mitgliedern ist. Sie scheinen tatsächlich der Meinung zu sein, die katholische Kirche müsse sich ihren Vorstellungen anpassen.
Deutsche Theologen im Ausland ohne Einfluss
Die permanente deutsche Nörgelei geht aber den Afrikanern und Lateinamerikanern schlichtweg auf den Keks. Selbst politisch linksgerichtete Katholiken in Lateinamerika empörten sich in den vergangenen Jahren immer wieder über die unverschämte Art und Weise, wie in Deutschland gegen den deutschen Papst Benedikt XVI. gehetzt wurde. Viele in den Medien scheinen noch gar nicht realisiert zu haben, dass die deutsche Kirche und vor allem die deutschen Theologen im Ausland kaum noch Einfluss haben. Dennoch tun viele hierzulande so, als müssten sie die Kirche reformieren, wenn nicht gar retten.
Man darf sich von dieser Berichterstattung nicht beeinflussen lassen. Vergangene Woche betreute ich einen Stand mit katholischen Schriften auf der Buchmesse in Leipzig, also kein besonders katholisches Umfeld. Das Interesse war trotzdem erstaunlich hoch, insbesondere für einfache Glaubensbücher und Gebete. Während der vier Tage hatte ich sehr viele Gespräche. In keinem einzigen ging es um die von den Medien favorisierten Themen. Das gibt Hoffnung.