Hier die Ansprache, die Papst Leo XIV. Sonntag vor seinem Angelus-Gebet am Petersplatz gehalten hat.
Liebe Brüder und Schwestern, einen schönen Sonntag!
Die Auferstehung Jesu, des Gekreuzigten, von den Toten erhellt in diesen frühen Novembertagen das Schicksal eines jeden von uns. Er selbst hat uns gesagt: »Das aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern dass ich sie auferwecke am Jüngsten Tag« (Joh. 6,39). Damit ist klar, worum es Gott im Wesentlichen geht: dass niemand für immer verloren ist, dass jeder Mensch seinen Platz hat und in seiner Einzigartigkeit zur Geltung kommt.
Das ist das Geheimnis, das wir gestern am Hochfest Allerheiligen gefeiert haben: eine Gemeinschaft in Verschiedenheit, die das Leben Gottes gleichsam auf alle Töchter und Söhne ausweitet, die sich danach gesehnt haben, daran teilzuhaben. Dieses Verlangen ist in das Herz eines jeden Menschen eingeschrieben, das nach Anerkennung, Aufmerksamkeit und Freude ruft. Wie Papst Benedikt XVI. geschrieben hat, möchte der Ausdruck „ewiges Leben“ dieser unauslöschlichen Erwartung einen Namen geben: es geht dabei nicht um eine endlose Abfolge, sondern um das Eintauchen in den Ozean der unendlichen Liebe, in dem es keine Zeit, kein Vorher und kein Nachher mehr gibt. Eine Fülle von Leben und Freude. Das ist es, was wir von unserem Leben mit Christus erhoffen und erwarten (vgl. Enzyklika Spe salvi, 12).
„Jeder Mensch ist eine ganze Welt“
So bringt uns das Gedenken an alle verstorbenen Gläubigen das Geheimnis noch näher. Die Sorge Gottes, niemanden zugrunde gehen zu lassen, kennen wir aus unserem eigenen Inneren, wenn der Tod uns eine Stimme, ein Gesicht, eine ganze Welt für immer zu nehmen scheint. Jeder Mensch ist in der Tat eine ganze Welt. Heute ist also ein Tag, der die menschliche Erinnerung herausfordert, die so kostbar und so zerbrechlich ist. Ohne die Erinnerung an Jesus – an sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung – ist der unermessliche Schatz eines jeden Lebens dem Vergessen preisgegeben. In der lebendigen Erinnerung Jesu hingegen erscheinen selbst diejenigen, an die sich niemand mehr erinnert, und auch diejenigen, die die Geschichte scheinbar vergessen hat, in ihrer unendlichen Würde. Jesus, der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist nun der Eckstein (vgl. Apg 4,11). Das ist die Osterbotschaft. Deshalb gedenken die Christen schon immer in jeder Eucharistiefeier der Verstorbenen und bitten auch heute noch darum, dass ihre lieben Verstorbenen im eucharistischen Hochgebet erwähnt werden. Aus dieser Botschaft erwächst die Hoffnung, dass niemand zugrunde gehen wird.
„Wir sind nicht in der Vergangenheit eingeschlossen“
Möge der Besuch auf dem Friedhof, wo Stille die Hektik des Alltags unterbricht, daher für uns alle eine Einladung zum Erinnern und Warten sein. »Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt«, sagen wir im Glaubensbekenntnis. Gedenken wir also der Zukunft. Wir sind nicht in der Vergangenheit eingeschlossen, in den Tränen der Nostalgie. Wir sind auch nicht in der Gegenwart gefangen, wie in einem Grab. Möge die vertraute Stimme Jesu uns erreichen, möge sie alle erreichen, denn sie ist die einzige Stimme, die aus der Zukunft kommt. Sie ruft uns beim Namen, sie bereitet uns einen Platz, sie befreit uns von dem Gefühl der Ohnmacht, mit dem wir Gefahr laufen, das Leben aufzugeben. Maria, die Frau des Karsamstags, lehre uns, weiter zu hoffen.
Quelle: Vatican News
Foto: Edgar Beltrán, The Pillar.
Quelle: Wikimedia Commons
Lizenz: CC BY-SA 4.0 International