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„O richtet nicht!“

Glaubt einen Sünder ihr vor euch zu sehn,
O, richtet nicht!
Wer trägt ohne Fehle, lilienrein
Ein Angesicht?
Was wisst ihr von der harten Not
Die jenen drückt?
Wisst ihr, ob nicht inbrünstig, oft,
Zu Gott er blickt?
Wie ihn das bittere Leben zwingt
In diese Form?
Und wie beschaffen war von Urzeit an
Sein Samenkorn?
Wisst ihr um Kämpfe, welche jener Kämpft?
Um seine Tränen, wenn es um ihn lenzt
Und er in seiner Einsamkeit voll Weh
Begraben liegt
Wie Blumen unterm Schnee?
Ihr seht nur sein Gesicht, das „sündig“ spricht,
Den Kampf der Seele aber seht ihr nicht.
O, richtet nicht!
(Carola Staiger-Gersbacher [Seele])

„Richtet nicht nach den Schein,
sondern fället ein gerechtes Urteil.“
(Jer. 7, 21.)

Quelle: Weggeleit – P. Jakob Koch SVD. – St. Gabriel-Verlag, Wien

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