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Maria als Sitz der Weisheit

Weisheit kann nicht an einem unmittelbaren, materiellen Erfolg festgemacht werden. Das ist wohl einer der Gründe, weshalb der Weisheitsbegriff in die Krise geraten ist. Im Alten Testament finden wir einen markanten Text zum Thema der Weisheit Gottes in Jes 11,1-5, in einem Prophetentext, auf dem die christliche Überlieferung von den sieben Gaben des Heiligen Geistes beruht. Der hier verheißene neue König, auf dem die Gaben des Geistes ruhen werden, wird nicht einfach aus sich selbst und im eigenen Namen handeln, sondern in der Kraft Gottes: „Rechtes, wahrhaft königliches Handeln entsteht dadurch, dass der Mensch zuerst ein Empfangender ist, sich einbeziehen lässt in die Gesinnung Gottes, vor der er mit seinem eigenen Wollen zurückzutreten hat.“ 1

Der Mensch, auf dem der Geist der Weisheit ruht, hat Teil an Gottes Vermögen, die Dinge so zu sehen und zu entscheiden, wie sie wirklich sind; in einer viel größeren Weite und Tiefe, aus der Mitte heraus, von Gott her. Gott sieht die Dinge, wie sie in Wahrheit sind. Das bedeutet, dass ein Erkennen aus der Wirklichkeit Gottes heraus auch eine tiefe Gemeinschaft mit ihm voraussetzt. Dies erfordert zugleich eine Losgelöstheit vom eigenen Ich und die Reinheit des Herzens. So schrieb Joseph Ratzinger: „Nur wer sich von der Bestechlichkeit des Ich reinigen lässt und so allmählich von Gott her lebt, mit Gott in Gemeinschaft steht, kommt zur rechten inneren Freiheit des Urteils, zur furchtlosen Unabhängigkeit des Denkens und Entscheidens, die nicht mehr nach Beifall oder Missfallen der anderen fragt, sondern sich allein an die Wahrheit hält. Solche Reinigung ist immer ein Prozess des Sich-Öffnens und des Sich-Beschenken-Lassens zugleich. Sie kann ohne die Passion des beschnittenen Rebstocks nicht werden. Aber sie ermöglicht gerade so die einzige Form der Herrschaft, die nicht Sklaverei, sondern Freiheit bewirkt.“ 2 Darum sind oft sehr einfache Menschen weise, urteilsfähig für das Eigentliche. Nach Platon kann der Mensch die Wahrheit nicht einfach besitzen, er kann sie aber sehr wohl lieben und auf der Suche nach ihr sein. Darin liegt die Begrenzung aber auch die Größe des Menschen; er ist nicht weise aus sich, aber auf der bleibenden Suche nach der Wahrheit.

Im christlichen Verständnis ist die Weisheit Gottes in Jesus Christus Person geworden; in ihm begegnet uns die Weisheit Gottes unverstellt und rein. So ist dann auch der Glaube, der den Einzelnen mit Jesus verbindet, jene Weisheit, die allen offen steht, gerade auch den Einfachen. Denn wer an Jesus glaubt, der tritt immer mehr ein in das Denken und Urteilen der Weisheit Gottes.

Am Text des Magnificat lässt sich erkennen 3, welches die Bedingungen zur Erlangung wahrer Weisheit sind. „Die Demütigen hat er erhöht“ (vgl. Lk 1,52). Nur dem demütigen Herzen, das sich weder durch Beifall noch durch Widerspruch verführen lässt – auch nicht durch die Wünsche oder Abneigungen des eigenen Herzens -, nur solcher Demut des Denkens öffnet sich der Zugang zur Wahrheit. Hier sieht Ratzinger die Verbindung auch noch zu einer anderen Seligpreisung, nämlich zu jener, in der die reinen Herzen gepriesen werden. Die ganzheitliche Ausrichtung des Herzens auf Gott hin ist die Grundbedingung der wahren Weisheit. Das auf Gott hörende und demütige Herz ist demnach das Gegenteil eines anmaßenden und verschlossenen Herzens, das sich nur mit sich selbst beschäftigt und daher unfähig ist, der Majestät der göttlichen Wahrheit Raum zu geben, welcher Verehrung und Anbetung gebührt.

In diesem Zusammenhang steht auch das Geheimnis der Jungfrau und Gottesmutter Maria. Maria ist ganz Mutter. In ihrer Demut und reinen Empfänglichkeit und in ihrer freien Hingabe an Gottes Willen verkörpert sie jene Haltung der Innerlichkeit, die grundlegend ist für das Wirken des Heiligen Geistes in ihr.

Maria wird in der Lauretanischen Litanei als „Thron der Weisheit“ bezeichnet. Eine solche Darstellung, die Maria nicht nur thronend, sondern selbst als den Thron des Wortes zeigt, kommt aus dem Wissen heraus, dass Gott in dieser Welt keinen materiellen Thron braucht. Die Welt gehört ihm ja, und die Dinge, die die Menschen gemacht haben, können ihn nicht fassen. Der wahre Thron, den Gott sucht, um in dieser Welt seine Herrschaft, die Herrschaft der Freiheit und der Liebe, aufrichten zu können, ist der Mensch, der sich Gott in liebevoller Hingabe zur Verfügung stellt, damit Gottes Wille an ihm geschehe. 4 Und so ist Maria in der Einfachheit ihres Herzens, durch ihr Ja, zum Thron Gottes, zu einer Eingangstüre in die Welt geworden. Der heilige Augustinus hat das wunderbare Wort über sie geprägt: „Noch ehe sie dem Leibe nach den Herrn empfangen hatte, hatte sie ihn schon ihrem Herzen nach geboren.“ 5

In diesem Sinne hat Papst Benedikt bei einer vorweihnachtlichen Begegnung den Studenten der römischen Universitäten ans Herz gelegt: „Geht in die Schule der Jungfrau Maria, die als erste das Menschsein des fleischgewordenen Wortes, das Menschsein der Göttlichen Weisheit betrachtet hat. Im Jesuskind, mit dem sie in nie endender stiller Zwiesprache stand, erkannte sie das menschliche Antlitz Gottes, sodass sich die geheimnisvolle Weisheit des Sohnes in den Geist und in das Herz der Mutter eingeprägt hat. Daher ist Maria der ,Sitz der Weisheit‘ geworden.“ 6

Besonders beim betrachtenden Beten des Rosenkranzes dürfen wir in diese Schule der Gottesmutter Maria gehen und durch sie den Geist der Weisheit empfangen.

Regina Willi

1 RATZINGER Joseph Kardinal, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, München 1982,372-382, hier 374

2 Ebd., 375

3 Joseph RATZINGER – BENEDIKT XVI., Auf Christus schauen. Einübung in Glauben, Hoffnung, Liebe, Freiburg­Basel-Wien 7989, Tb-Sonderausgabe 20074,79-26

4 Joseph RATZINGER, „Maria – Du Thron der Weisheit“ (Predigt 1977), in: VODERHOLZER R. – SCHALLER CHR. – HEIBL F. X. (Hrsg.), Mitteilungen Institut Papst Benedikt XVI Band 3, Regensburg 2070, 28f hier 28

5 AUGUSTINUS Aurelius, Sermo 25,7-8 (PL 46,937f)

6 Grußworte von Papst Benedikt XVI. an die Studenten der römischen Universitäten, 74. Dezember 2006 .

Quelle „Betendes Gottesvolk“ 2016/2 Nr. 266, S. 7.

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