(Maria) Mary Pyle: Die Amerikanerin, die zur Tochter von Pater Pio wurde
Mary McAlpine Pyle, bekannt als „die Amerikanerin“ in San Giovanni Rotondo, wurde in ihrem Leben von weltlichem Reichtum zu tiefem christlichen Einsatz geführt.
Am 17. April 1888 wurde sie in eine wohlhabende Familie geboren; ihr Vater war ein erfolgreicher Fabrikant aus New York, bekannt als der „Seifenkönig“. Mary war groß, blond, intelligent und elegant – ein Leben voller Möglichkeiten lag vor ihr. Doch all das erfüllte sie nicht.
Mary reiste jahrelang durch die Welt, um Sinn und Erfüllung zu finden. Obwohl sie protestantisch erzogen wurde, empfand sie eine tiefe Leere in ihrem Glauben. Während ihrer Studien entdeckte sie die revolutionäre Pädagogik Maria Montessoris, die den Fokus auf die natürliche Entwicklung des Kindes legte. Mary bewunderte Montessori so sehr, dass sie ihre Mitarbeiterin wurde. Gemeinsam reisten sie durch Europa, und Marys Sprachkenntnisse – sie sprach fließend Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und Italienisch – machten sie zu einer wertvollen Dolmetscherin.
Während dieser Zeit begann Mary, die katholische Religion zu studieren. Besonders die Eucharistie und die Muttergottes zogen sie an. Nach intensiver Vorbereitung ließ sie sich 1918 in Barcelona katholisch taufen. Sie änderte ihren Namen von Adelia in Maria, als Zeichen ihres neuen Lebens. Diese Entscheidung führte jedoch zu einem Bruch mit ihrer Familie, die sie enterbte.
Die erste Begegnung mit Pater Pio
Mary suchte einen geistlichen Führer, der ihr auf ihrem Weg zu Gott helfen konnte. „Deshalb“, so sagte sie, „machte ich eine Novene zu Unserer Lieben Frau von Pompeji. Dann reiste ich mit Maria Montessori nach Rom, wo ich täglich in die Kirche ‚Chiesa del Gesù‘ ging und die Muttergottes bat, mir zu helfen, einen geistlichen Leiter für meine Seele zu finden“.
1920 hörte sie von einem stigmatisierten Kapuzinerriester in Italien, Pater Pio. Obwohl sie neugierig war, dauerte es bis 1923, bis sie ihn in San Giovanni Rotondo traf. Doch dieses erste Treffen war ernüchternd.
Als Pater Pio sie fragte, warum sie gekommen sei, antwortete sie ehrlich: „Aus Neugier.“ Pater Pio blickte sie mit einer Mischung aus Liebe und Strenge an, sagte aber nichts weiter. Mary dachte enttäuscht: „Er ist nur ein einfacher Mönch. Wie kann er meine Fragen beantworten?“
Ein Traum macht es deutlich
Einige Wochen später hatte Mary einen seltsamen Traum. Sie saß in einer Kutsche, geführt von Maria Montessori, die sie durch Schnee und Regen lenkte. Plötzlich übernahm ein Mönch die Führung der Kutsche, den sie als Pater Pio erkannte. Die Reise wurde angenehm und führte sie zu einer Kirche, die sie als „Unsere Liebe Frau der Gnaden“ identifizierte. Der Mönch sagte zu ihr: „Wir sind angekommen.“
Tief beeindruckt von diesem Traum kehrte Mary am 4. Oktober 1932 nach San Giovanni Rotondo zurück. Diesmal war ihre Begegnung mit Pater Pio völlig anders. Als er sie in der Kirche sah, ging er auf sie zu und sagte: „Gesegnet sind die, die auf der rechten Seite sitzen. Wir sind angekommen.“ In seinem intensiven Blick erkannte sie den geistlichen Leiter, den sie immer gesucht hatte.
Mary fiel auf die Knie und flüsterte nur: „Padre.“ Pater Pio legte seine stigmatisierte Hand auf ihren Kopf und sagte: „Tochter, keine Reisen mehr. Bleib hier!“
Ein Leben im Dienst Gottes und Pater Pios Mission
Von diesem Moment an wusste Mary, dass sie ihre Berufung gefunden hatte. Sie ließ sich dauerhaft in San Giovanni Rotondo nieder, einem damals armen und abgelegenen Ort. Sie mietete zuerst ein Zimmer. Mary schloss sich dem Dritten Orden des hl. Franziskus an und nahm einen einfachen Lebensstil an, passend zu den armen Menschen der Region.
Als Marias Bruder David, ein erfolgreicher Anwalt, von ihrem Aufenthaltsort erfuhr, besuchte er sie. Er war entsetzt, dass sie ihre gesellschaftliche Stellung verriet, indem sie in einem für ihn unsäglichen Elend lebte. Er erzählte Adelaide, ihrer Mutter, davon.
Adelaide kam nach San Giovanni Rotondo, freundete sich schnell mit Pater Pio an und besuchte ihn häufig aus Rom, wo sie eine Wohnung hatte. Sie erneuerte den Unterhalt ihrer Tochter und schickte ihr für diese Zeit und diesen Ort große Geldsummen. Maria konnte in der Nähe des Klosters ein dreistöckiges Haus bauen. Die Leute nannten es das rosa Schloss. Als es um 1927 fertiggestellt war, ritt Pater Pio, der mit seinen verletzten Füßen nicht mehr gut gehen konnte, auf einem Esel den Hügel hinunter, um es zu segnen.
Trotz ihrer bescheidenen Kleidung und ihres einfachen Lebens brachte Mary ihre Talente und Ressourcen ein, um Pater Pios Mission zu unterstützen. Sie wurde seine Sekretärin und Korrespondentin, übersetzte Briefe und half Pilgern aus der ganzen Welt. Ihr Haus diente nicht nur als Unterkunft für Pater Pios Eltern, sondern auch als Zentrum für Katechese, Alphabetisierung und Musikunterricht. Mary gründete einen Chor und kümmerte sich um die Bedürfnisse der Armen.
Bilokation und Schutz durch Pater Pio
Pater Pio hatte eine besondere Bindung zu Mary. Er beschützte sie geistig und – wie man von Geschichten weiß – auch durch Bilokation. Einmal, als Mary in ihrem halbfertigen Haus Angst vor Eindringlingen hatte, erfuhr sie am nächsten Tag, dass Pater Pio in jener Nacht im Garten gesehen worden war. So war Pater Pio. Wenn er jemanden unter seine Obhut nahm, ließ er sie um nichts in der Welt gehen. Er begleitete sie immer, wo auch immer sie waren.
Mary finanzierte auch große Projekte, darunter den Bau der Kapuzinerkirche in Pietrelcina, dem Geburtsort von Pater Pio.
Sie wurde mit Respekt und Zuneigung „Maria l‘Americana“ oder auch die „Tochter des Seifenkönigs“ genannt und war für die Menschen in San Giovanni Rotondo eine geistliche Schwester, Lehrerin und Freundin geworden. Ihr Haus, ihr Dienst und ihre Freundschaft mit Pater Pio hinterließen ein Vermächtnis, das bis heute inspiriert. Ihr Leben war ein Zeugnis für Gehorsam, Demut und Liebe.
Pater Pio hatte einmal zu Maria gesagt, dass sie zuerst sterben werde und er bald danach. Maria starb am 25. April 1968 in Casa Sollievo. Pater Alessio, ein Mitbruder, fragte Pater Pio, wo sie sei, und er antwortete, sie sei im Fegefeuer. Später erschien Maria einer Freundin im Traum und sagte ihr, dass sie am 5. Mai in den Himmel gekommen sei. Pater Pio, der von diesem Traum erfuhr, antwortete: „Sie war immer eine gute Ordensfrau, und der Herr weiß, wie er denen, die es verdienen, einen gerechten Lohn geben kann. Maria lebte ein Leben des Gebets und der Buße, der Einfachheit und der Beharrlichkeit. Sie half Tausenden von Menschen in jeder Art von Not“.
Maria „Mary“ Pyle ruht auf dem Friedhof von San Giovanni Rotondo, in der Kapelle der Kapuziner, zusammen mit Vater Grazio und Mamma Peppa.