An der Grenze zwischen einem, wie wir etwas voreilig meinen, bekannten Leben und dem unbekannten, das wir mit dem hilflosen Ausdruck „hernach“ bezeichnen, wissen auch die Christen nicht allzuviel zu raten. Den Tod kann man nicht üben, aber einiges doch.
Soll man einem Sterbenden seine Situation klar machen? Viele sterbenden ahnen, wie sie dran sind.
Zwischen einer Ahnung und einem ausgesprochenen Todesurteil ist aber immer noch ein wesentlicher Unterschied.
Die Pflicht zu Wahrheit wird damit begründet, daß man einen Sterbenden nicht um die Möglichkeit bringen dürfe, mit Gott noch zurecht zu kommen. Das kann – als Ausnahme (!) – geboren sein. Im übrigen kann viel in Ordnung gebracht werden, wenn die Schwere der Krankheit nicht vertuscht wird. Gott läßt nur selten einen Menschen die Stunde seines Todes wissen. Diese Barmherzigkeit: sollten wir nicht vorlaut zerstören. Auf jeden Fall, wer sich der Wahrheit verpflichtet fühlt, muß sich auch zur Liebe verpflichten. So geht es nicht, daß einer sein Wahrheitsbedürfnis an einem Sterbenden befriedigt und dann vergnügt in sein munteres Leben zurückkehrt.
Wenn in der Nähe eines Sterbenden über ihn gesprochen wird, so ist das wohl meistens nur Gedankenlosigkeit. Der Sterbende kann es hören, auch wenn er kein Zeichen mehr gibt. Gedankenlosigkeit ist für den christlichen Glauben keine Entschuldigung. Denken gehört dazu.
Familienmitglieder können sich ablösen, um einen Sterbenden nicht allein zu lassen. Sogar Jesus, auf den Gott alles mögliche Elend der Welt legte, hatte Freunde unter seinem Kreuz. Einem Sterbenden die letzten Liebesdienste zu erweisen, kostet Überwindung. Das Leben fürchtet den Tod, das Bild des eigenen Endes. Wir müssen im Glauben nicht die Augen schließen, wenn ein Mensch die Augen schließt.
Quelle: Pfarrer Sommerauers Lesebuch – Geschichten mit Gott und der Welt – Kösel-Verlag GmbH & Co., München – Seiten: Teil 109 und 110.