In Lourdes offenbart sich die göttliche Vorsehung auf zwei unterschiedliche Weisen in Bezug auf menschliches Leiden. Die erste ist wunderbar und unmittelbar: Unsere Liebe Frau, voller Mitgefühl, heilt die Kranken, demonstriert die Kraft des Glaubens und bietet ein greifbares Zeichen ihrer Barmherzigkeit. Diese Wunderheilungen inspirieren zur Bekehrung und zur Erneuerung der Herzen.




Die zweite Dimension ist jedoch ebenso bedeutsam, wenn auch weniger spektakulär. Die meisten Pilger, die nach Lourdes reisen, kehren ohne Heilung zurück. Diese Tatsache wirft die Frage auf: Warum heilt Unsere Liebe Frau einige, aber nicht alle? Steht dies nicht im Widerspruch zu ihrem Mitgefühl?
Im Gegenteil, es offenbart eine tiefere Wahrheit über das Leiden. Es ist nicht nur eine Last, die beseitigt werden muss, sondern ein Weg zur Heiligung. Der heilige Franz von Sales bezeichnete das Leiden treffend als das „achte Sakrament“, weil es die Seelen zu Gott hinführt. Auch das Beispiel von Pater Pio unterstreicht diese Erkenntnis. Er trug die Wundmale Christi und betrachtete das Leiden als einen Weg der Vereinigung mit Gott. Er erinnerte seine geistlichen Kinder oft daran, dass Leiden, wenn es mit Liebe angenommen wird, eine Quelle der Gnade ist.
Ein Gespräch zwischen Kardinal Pedro Segura und Papst Pius XI. veranschaulicht dies eindrucksvoll. Der Papst erklärte einmal, er sei nie ernsthaft krank gewesen. Kardinal Segura lächelte und sagte: „Dann fehlt Eurer Heiligkeit das Zeichen der Auserwählten.“ Der Papst war überrascht, und der Kardinal erklärte weiter: „Alle, die für den Himmel bestimmt sind, haben in ihrem Leben großes Leid erfahren.“ Kurz darauf erlitt Papst Pius XI. einen schweren Herzinfarkt. Von seinem Krankenbett aus schrieb er an Kardinal Segura: „Eure Eminenz, jetzt habe ich das Zeichen der Auserwählten.“
Leiden ist keine Strafe, sondern ein Mittel, durch das Gott Seelen reinigt. In Lourdes erhalten viele, die nicht geheilt werden, etwas noch Größeres: eine tiefe Akzeptanz ihres Zustands. Pilger kehren oft nicht verbittert zurück, sondern mit Frieden und Hingabe. Viele beten sogar, dass andere vor ihnen geheilt werden. Diese Selbstlosigkeit ist ein größeres Wunder als körperliche Heilungen, denn sie überwindet menschlichen Egoismus und offenbart wahre Nächstenliebe.
Die Karmelitinnen von Lourdes verkörpern diesen Geist in vollkommener Weise. Sie bitten nicht um Heilung, sondern nehmen ihr Leiden freiwillig auf sich, um es als Opfer für das Heil anderer darzubringen. Ihr stilles Zeugnis ist ein leuchtender Beweis für die erlösende Kraft des Leidens.
Letztendlich sind die wahren Wunder von Lourdes nicht nur die physischen Heilungen, sondern die Verwandlung der Herzen. Würde Unsere Liebe Frau nur die Körper heilen und die Seelen vernachlässigen, wäre das wahre Liebe? Vielmehr weist sie uns auf das Beispiel Christi hin, der in seiner Todesangst im Garten betete: „Vater, wenn Du willst, nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein Wille, sondern der Deine geschehe.“
In unserem Leiden sind auch wir aufgerufen, auf Gottes Plan zu vertrauen, in der Gewissheit, dass wir, wie Christus, getröstet und gestärkt werden.
Leiden ist also nicht sinnlos. Es ist ein Zeichen der Auserwählten, ein Mittel zur Heiligung und eine Gelegenheit, in Liebe und Vertrauen auf Gott zu wachsen. Das ist die Lehre von Lourdes, von Pater Pio und all jenen, die ihr Kreuz im Glauben angenommen haben.