von John Horvat II
„Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen!“; „Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor!“ (Jesaja 45, 8) So beginnt der Adventshymnus „Rorate Caeli“, der klagend Gott anruft, unsere Gebete zu erhören. Wie die Väter von einst seufzen wir voller Sehnsucht und bitten Gott, nicht auf unsere Schuld zu schauen. Das Lied endet mit der Zusage: „Ich will dich erretten, fürchte dich nicht, denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Erlöser.
Die meisten Menschen werden die Adventszeit verbringen, ohne über ihre Bedeutung nachzudenken. Sie werden sich mit Feiern und Einkäufen auf unser säkulares Weihnachtsfest vorbereiten. Nur wenige werden die Lehren dieser erhabenen liturgischen Zeit im Alltag umsetzen.
Für gläubige Katholiken sollte die Adventszeit bedeuten, sich in die Lage unserer Vorväter zu versetzen. Dies gelingt besser, wenn wir uns in die Situation des verlorenen Sohnes versetzen.
Wir befinden uns nämlich in derselben Lage wie der verlorene Sohn. Durch eigene Schuld und durch die Schuld der Gesellschaft befinden wir uns in einer unruhigen und rastlosen Welt, die nicht unsere wahre Heimat ist. Wir leiden unter einer unmoralischen Welt, die nur für Vergnügen und Unterhaltung lebt. Wir sehnen uns danach, nach Hause zurückzukehren, aber wir wissen nicht, wie.
Deshalb sollten wir den Advent des verlorenen Sohnes feiern. Hier sind drei Möglichkeiten, wie wir diese liturgische Zeit für unser Leben bedeutsamer machen können.
1.Unsere sündige Welt betrachten:
Wie der verlorene Sohn müssen wir uns zuerst mit unserer sündigen Welt auseinandersetzen. Wir leben in einer Welt, die weder Gut noch Böse, weder Tugend noch Laster kennt. Denken wir an das Ausmaß der Sünden, die begangen werden. Unzählige Todsünden kappen die Beziehung des Menschen zu Gott und schicken ihn in die Hölle. Es gibt Sünden wie Abtreibung, widernatürliche Laster und Unreinheit, die die Erde bedecken und Gott zutiefst beleidigen.
In diesem Advent sollten wir die Überzeugung von der moralischen Verderbtheit unserer Gesellschaft in uns tragen.
Wir sollten uns diese Tatsache immer wieder vor Augen halten, denn die menschliche Natur gewöhnt sich an die schrecklichsten Situationen. So unglaublich es klingen mag, der verlorene Sohn hat wahrscheinlich nicht sofort erkannt, wie schlimm seine neue Situation im Schweinestall war. Vielleicht dachte er sogar, dies sei der neue Normalzustand. Aus dem Gleichnis lässt sich ableiten, dass er eine Zeit lang die Reste des Schweinefutters gegessen hat, bis er es nicht mehr ertragen konnte.
Irgendwann erkannte er sein Elend. Auch wir müssen diese Fäulnis erkennen, denn die Welt versucht uns vom Gegenteil zu überzeugen. Man sagt uns ständig, dass es nicht so schlimm ist oder dass es nicht schlimmer wird. Andere sagen, dass wir uns daran gewöhnen müssen. Oder wir haben die Vorstellung, dass nur wir unglücklich sind und alle anderen glücklich.
Wir müssen davon überzeugt werden, dass die Welt so verdorben ist, wie es die Muttergottes in Fatima gesagt hat. Wir verdienen Strafe. Die neue Normalität ist keine Normalität.
Praktische Folgen
Diese Überzeugung hat Konsequenzen. Die Verderbtheit der Welt zu erkennen, bedeutet, sich bewusst zu machen, was geschieht. Es bedeutet, die Nachrichten zu lesen, auch wenn es weh tut. Es bedeutet, sich der tragischen Situation in der Kirche zu stellen. Wir müssen dem Bösen ins Auge sehen und es zurückweisen. Wir müssen uns mit anderen zusammentun und ihnen Mut machen.
Wenn wir die Dinge so sehen, wie sie sind, in all ihrer Verdorbenheit, dann ist der nächste Schritt, diese Übel durch Protest, Gebet oder andere Aktionen zu bekämpfen. Wir sollten andere einladen, sich uns in diesen Kämpfen in der Öffentlichkeit anzuschließen. Auf diese Weise können wir wie der verlorene Sohn sein, der die Verderbtheit seiner Situation erkennt und beschließt, etwas dagegen zu unternehmen. Durch unser Handeln rufen wir dem Vater zu, dass wir nach Hause zurückkehren wollen.
2.Sehnsucht nach dem Vaterhaus
Niemand kann überleben, wenn er nur an Fäulnis denkt. Unser Advent würde morbide und deprimierend werden, wo er doch eine Zeit der Hoffnung sein sollte. Als der verlorene Sohn über seine missliche Lage nachdachte, dachte er an das Haus seines Vaters.
Das zweite, was wir tun können, ist, in uns selbst und in anderen die Sehnsucht nach dem Haus des Vaters zu wecken.
Diese Sehnsucht nach dem Vaterhaus kann nicht nur aus vagen Gefühlen für eine Gesellschaft der Liebe und des Friedens bestehen. Wie die Väter von einst nach dem vollsten Ausdruck Gottes in einem Erlöser „verlangten, so verlangen wir nach dem vollsten Ausdruck des Vaterhauses in der Gesellschaft.
Pius XI. hat dies in seiner Enzyklika Quas Primas über das soziale Königtum Christi treffend formuliert: „Wenn daher die Menschen die königliche Macht Christi im persönlichen und öffentlichen Leben anerkennen würden, so würden notwendigerweise unglaubliche Wohltaten, wie gerechte Freiheit, Ordnung und Ruhe, Eintracht und Friede, die bürgerliche Gesellschaft beglücken.“
Dieses Haus hat auch die Gottesmutter in Fatima offenbart, als sie von ihrem endgültigen Triumph sprach.
Wir sollten also nichts weniger als das Haus des Vaters ersehnen. Wir dürfen nicht nur den Wunsch haben, den Schweinestall zu verlassen und bequem nebenan zu wohnen. Manche möchten vielleicht in ihre Heimatstadt zurückkehren oder eine weniger sündige Stadt finden. Wieder andere sehnen sich nach der „Benedikt-Option“ irgendwo in der Nähe. Auf unserem Weg nach Hause darf es keinen Zwischenstopp geben.
Unsere Sehnsucht sollte uns dazu bringen, das Haus des Vaters zu wollen – das ganze Haus und nichts als dieses Haus. Als Fatima-Verehrer sollten wir uns nach dem Triumph der Gottesmutter sehnen. Das ist es, was uns aufrecht hält und uns Hoffnung gibt.
Weitere praktische Folgen
Diese Sehnsüchte haben auch Folgen. Es ist nicht leicht, Sehnsucht nach einem Haus zu wecken, das man nie gesehen oder bewohnt hat. Aber es kann auf verschiedene Weise geschehen.
Ein Weg ist die Bewunderung. Alles Gute, Wahre und Schöne spricht zu uns vom Vater. Wenn wir diese Dinge bewundern, nehmen wir uns die Worte des heiligen Paulus aus der Heiligen Schrift zu Herzen. Er fordert uns auf, uns an denselben Idealen zu orientieren, wenn er sagt: „Schließlich, Brüder, was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht!“ (Phil 4,8).
Wir müssen also nach den wunderbaren Dingen in unserem täglichen Leben Ausschau halten, die unsere Liebe zum Vaterhaus wecken können. Wir können nach den edlen, gerechten, lauteren und liebenswerten Dingen suchen, die wir zu Hause, in der Familie, in der Gemeinschaft oder in der Liturgie finden.
Eine andere Möglichkeit, in uns die Sehnsucht nach dem Vaterhaus zu wecken, besteht darin, die Gnaden zu pflegen, die Gott uns sendet und die diese Sehnsucht wecken. Gott schenkt uns Gnaden, die in unserer Seele wirken, um unsere Hoffnung lebendig zu erhalten, um uns zu stärken und um uns die Herrlichkeit seines Hauses erahnen zu lassen.
Manchmal kann die Gnade, mit anderen Katholiken zusammen zu sein, diese Sehnsucht wecken. Zu anderen Zeiten ist es die Gnade des Leidens, die die Seele stärkt und uns die Abhängigkeit vom Vater spüren lässt. Gerade der Kampf um den Glauben kann die Sehnsucht nach dem wecken, wofür wir kämpfen.
Eine andere Möglichkeit, die Sehnsucht nach dem Haus des Vaters zu wecken, besteht darin, nie aufzuhören zu lernen und sich vorzustellen, wie die christliche Ordnung aussieht – wie das Haus des Vaters aussehen sollte. Die kirchliche Literatur und Lehre ist voll von Beschreibungen des Christentums. Unsere Sehnsucht wächst, wenn wir wissen, dass sie in der Praxis verwirklicht werden kann.
3.Sich dem Vater anvertrauen
Schließlich sollten wir uns in diesem Advent mit demütigem und zerknirschtem Herzen dem Vater anvertrauen. Wie der verlorene Sohn, der das Haus seines Vaters verlassen hat, so hat auch jeder von uns die Wege Gottes verlassen. Wenn wir uns von Gott entfernen, kann er nicht handeln, weil wir es ihm nicht erlauben.
Aber wir müssen darauf vertrauen, dass Gott unsere demütigen und zerknirschten Herzen nicht verwirft. Wenn wir unseren Teil dazu beitragen, indem wir die Übel unserer Zeit zurückweisen und uns nach dem Haus des Vaters sehnen, können wir sicher sein, dass er unsere Sehnsucht stillen wird, als Einzelne und – was noch wichtiger ist – als Nation.
Wir müssen davon überzeugt sein, dass Gott unsere große Heimkehr viel mehr wünscht als wir selbst. Aus der Ferne achtet er auf das kleinste Zeichen unserer Mitarbeit an den Gnaden, die er uns so großzügig schenkt. Und wenn er demütige Herzen findet, die sich ihm zuwenden, ist er an
Großzügigkeit nicht zu übertreffen. Er geht uns auf dem Weg entgegen und behandelt uns, als hätten wir nie gefehlt.
Wir sind viel mehr gesegnet als der verlorene Sohn. Das Gleichnis spricht nur vom Handeln des Vaters. Wir dürfen aber auch das Handeln der Mutter erwarten. Wenn wir mit der Hilfe der Gottesmutter rechnen, verändert sich die Situation exponentiell. Wir können sicher sein, dass sie sich unserer Sache annimmt und uns die Rückkehr erleichtert.
Haben wir also Vertrauen inmitten unserer gegenwärtigen Schwierigkeiten. Ein „Advent des verlorenen Sohnes“ kann ein Weg sein, unsere Herzen zu öffnen und nach Hause zurückzukehren. Lassen wir uns in diesem Advent mit demütigem und zerknirschtem Herzen von den letzten Worten des Hymnus „Rorate Caeli“ trösten: „Ich will dich erretten, fürchte dich nicht, denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Erlöser“.