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Dokumentation zu Zölibat: Wer Priester wird, trifft eine radikale Entscheidung

In der Ausbildung ist das Gespräch über Sexualität und
Pflichtzölibat kein Tabu mehr, sagt der Paderborner Regens Peter Klasvogt im
Interview mit dem Rheinischen Merkur

Quelle: RHEINISCHER
MERKUR im Jahr 2002

Herr Regens Klasvogt, was spricht heute noch für den Pflichtzölibat?
Wie wichtig ist er für die Identität des katholischen Priesters? Ein Interview mit Rudolf Zewell.

PETER KLASVOGT: Zunächst spricht einmal eine ganze Menge für den
Zölibat. Jesus selbst empfiehlt diese Lebensform all denen, die sich von ihr
existenziell angesprochen fühlen, freilich ohne Wertigkeit. Die katholische
Kirche hat durch die Jahrhunderte hindurch diejenigen, die den Dienst in der
Leitung ausüben wollen, auf diese radikale Lebensform verpflichtet.
RM: Wie kann der, der ein solches Amt hat, dieses auch glaubwürdig
aus einer geistlichen Haltung heraus leben?

Klasvogt: Das ist die Grundfrage, die vor der Einzelfrage des
Zölibats steht. In der Bereitschaftserklärung der Weihekandidaten heißt es:
Seid ihr bereit, aus dem Geist des Gebetes zu leben, seid ihr bereit, den Armen
und Kranken beizustehen? Und in dem Kontext steht dann auch die Frage: Seid ihr
bereit, um des Himmelreiches willen ehelos zu leben?

RM: Der Zölibat sollte also nicht isoliert betrachtet werden …

Klasvogt: Der Zölibat ist ein Zeichen der Hingabe an Gott. Nur wer
erkennt und anerkennt, dass sich in der Priesterweihe jemand mit seiner ganzen
Person Gott schenkt, sein Leben Gott weiht, wird auch das äußere Zeichen des
Zölibats verstehen.

RM: Vorbehalte gegen den Zölibat gibt es auch innerhalb der
Pfarrgemeinden. Reicht es da aus, auf die theologischen Wurzeln zu verweisen?

Klasvogt: Die bewusste und freiwillige Entscheidung stößt bei
Eltern, Freunden und Bekannten zuweilen auf Unverständnis. Das ist in der
gesellschaftlichen Öffentlichkeit weithin anders. Dort erfährt der Priester
Achtung und Respekt. Es gibt durchaus ein Gespür dafür, dass man in ihm das
Heilige, die Sphäre Gottes spürt. In den Gemeinden fällt es dagegen oft schwer,
tiefer zu sehen: dass da ein Mensch ist, der so von Gott in Anspruch genommen
ist, dass dies sein Leben zur Erfüllung bringen kann. Natürlich treten im
direkten Umfeld auch die menschlichen Schwächen und Begrenztheiten offener
zutage.

RM: Der Zölibat wird heute oft als ein Hauptgrund für den
Priestermangel gesehen. Ist das so?
Klasvogt: Der Priestermangel hat sicher viele Gründe. Ich sehe
darin ein Symptom des allgemeinen Glaubensschwunds und des Rückgangs der
religiösen Praxis und Kirchenbindung. Der potenzielle Kreis, aus dem heraus
junge Leute sich entscheiden, heute Priester zu werden, ist kleiner als noch
vor zwanzig Jahren. Nicht nur aufgrund der allgemeinen demografischen
Entwicklung, sondern auch vor dem Hintergrund der kleiner werdenden
Kerngemeinde.

RM: Wie sieht es überhaupt mit dem Priesternachwuchs aus?

Klasvogt: Es gibt junge, aber zunehmend auch weniger junge Leute,
die sich sehr intensiv und persönlich damit beschäftigen, wie für sie ein
Lebensengagement aus dem Glauben für Gott in der Kirche aussehen kann. Die
Frage ist allerdings, ob wir als Kirche das Instrumentarium haben, um diese
Ressourcen zu heben.

RM: Es fehlt also an Ermutigung und Unterstützung in den
Gemeinden?

Klasvogt: Wir starten im Erzbistum Paderborn gerade mit so
gennannten “Vocational Teams”, also Berufungsgruppen in den einzelnen
Gemeinden, wo die geistlich Interessierten sich gegenseitig Mut machen. Der
Einzelne hat oft den Eindruck, er sei der Letzte, der noch an solchen Fragen
interessiert ist.

RM: Wächst die Zahl der Spätberufenen?

Klasvogt: Der Trend ist unübersehbar. Es kommen immer mehr Leute
zu uns, die schon ein Studium oder einen Beruf hinter sich haben und durch
Krisen gereift sind. Es mag auch daran liegen, dass der gesellschaftliche Druck
gegenüber dem zölibatären Priester so stark ist, dass man es sich sehr reiflich
überlegt und sich mit der Entscheidung mehr Zeit lässt als früher.

RM: Wie ist die Möglichkeit eines Übertritts verheirateter Pfarrer
aus anderen Konfessionen mit dem Pflichtzölibat zu vereinbaren?

Klasvogt: Darin zeigt sich, dass die Kirche souverän ist,
Bedingungen und Konditionen zu setzen, wobei sie meines Erachtens gut beraten
ist, nach wie vor am Zölibat festzuhalten, weil einfach eine geistliche Kraft
darin liegt. Im Herbst dieses Jahres erlebe ich übrigens zum ersten Mal in zehn
Jahren, dass ein verheirateter evangelischer Pfarrer konvertiert ist und zum
Priester geweiht werden will. Die anderen Priesteramtskandidaten begegnen ihm
mit Respekt vor seiner persönlichen Lebensentscheidung. Sie sehen darin aber
keine Alternative zum eigenen Lebensweg.

RM: Bis vor gar nicht langer Zeit war das Thema Zölibat in der
Priesterausbildung eher ein Tabu. Wie geht man heute im Priesterseminar damit
um?

Klasvogt: Sie können mir glauben, dass kaum ein anderes Thema in
der Ausbildung so breiten Raum einnimmt, gerade weil es in der Öffentlichkeit
diesbezüglich massive Anfragen gibt. Die Akzentsetzung in der Ausbildung
geschieht aus der Erkenntnis, dass keiner als zölibaterer Priester leben kann,
wenn er diese Lebensform nicht innerlich angenommen und bejaht hat. Ich kenne
im Übrigen niemanden, der sich über sieben Jahre so intensiv auf die Ehe
vorbereitet, wie das unsere Priesterkandidaten im Hinblick auf ihre
Lebensentscheidung tun. Ob in persönlicher Begleitung, in
Besinnungswochenenden, in Kursen zur Sexualität und so weiter.

RM: Es scheitern immer mehr Ehen, und es scheitern auch Priester
am Zölibat. Wie kommt das trotz der Vorbereitung?

Klasvogt: Etwas salopp formuliert: Das Scheitern einer Ehe ist
nicht so publikumswirksam wie das Scheitern eines Priesters am Zölibat. Ich bin
jetzt über neun Jahre Regens. Von mehr als hundert jungen Priestern, die ich
auf ihrem Weg zur Priesterweihe begleitet habe, hat nur einer sein Amt
aufgegeben.

RM: Es geht also um Einzelfälle …

Klasvogt: Ja, die durch ein entsprechendes mediales Echo eine
Eigendynamik entwickeln. Andererseits wird keiner am Tag der Priesterweihe
sozusagen chromversiegelt in die Gemeinde entlassen. Die Weihesituation kann
nicht konserviert, sondern muss ein Leben lang im Alltag bewährt werden. Es
kommen Lebenssituationen, Prüfungen, Krisen, in denen man wachsen kann, aber
auch Konstellationen, in denen der eigene Lebensentwurf plötzlich radikal
infrage gestellt wird. Das kennen Eheleute und auch Priester.

RM: Ist der Priester in solchen Krisen allein? Wer hilft ihm da?

Klasvogt: Ich bin froh, dass wir einiges an Begleitungs- und
Unterstützungssystemen haben, damit in solchen Krisensituationen der Einzelne
nicht allein ist und einfach das Handtuch wirft, sondern sich fragt: Wie kann
ich die neue Erfahrung auf dem Hintergrund meines Lebensentwurfes einordnen?

RM: Wie gehen angehende Priester mit dem Scheitern anderer um?

Klasvogt: Je nachdem, ob sie den Betreffenden persönlich kennen,
reagieren unsere Seminaristen mit Traurigkeit, vielleicht auch Enttäuschung.
Aber ich stelle immer wieder fest, dass es für sie selbst dann eher eine
Herausforderung ist, ernsthafter sich selbst zu prüfen und die eigene
Lebensentscheidung gut und tief zu verankern.

RM: Und wie geht die Kirche mit ehemaligen Priestern um?

Klasvogt: Hier wäre sicherlich mehr an Begleitung wünschenswert,
auch wenn ich aus eigener Erfahrung weiß, dass die meisten, die ihr Amt
aufgeben, zunächst den Kontakt abbrechen. Ich erinnere mich, dass der
verstorbene Bischof Hemmerle jedes Jahr alle aus dem Amt geschiedenen Priester
zu einem Gespräch eingeladen hat. Etwa die Hälfte der Eingeladenen kam, der
andere Teil war im Grunde nicht über diesen Bruch hinweggekommen.

RM: In der Öffentlichkeit wird immer wieder behauptet, der Zölibat
schaffe sozusagen eine Disposition zu sexuellen Übergriffen. Wie gehen Sie im
Seminar mit dieser Frage um?

Klasvogt: Es gibt erwiesenermaßen keine Verbindung zwischen
Pädophilie und Zölibat. Dies ist eine Frage der Veranlagung, ganz gleich, ob es
sich um Priester, Lehrer, Kindergärtnerinnen oder wen auch immer handelt. Eine
Schwierigkeit in der Ausbildung besteht darin, dass die Neigung dem Betroffenen
selbst erst sehr viel später bewusst wird. Hier gilt der Grundsatz: Was
verdrängt wird, kann nicht bearbeitet werden. Daher braucht es einen Raum, in
dem der Einzelne mit den Fragen seiner eigenen Sexualität angstfrei umgehen
kann und kompetent begleitet werden kann. Das wird auch im Blick auf das Thema
Pädophilie gesamtgesellschaftlich zu sagen sein.

Peter Klasvogt, Regens des Prieserseminars Paderborn, ist
Vorsitzender der Nord- und Westdeutschen Regenten konferenz.

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