Manchmal fällt es leichter, sich an Maria zu wenden als direkt an Jesus. Das Bild der Mutter wirkt weniger einschüchternd als das des Gekreuzigten. Die Heiligen wussten das: Sie erkannten in der Gottesmutter einen sicheren Weg zu Christus. Mit zärtlichen, poetischen und inspirierten Worten ehrten sie sie.
Für Bernhard von Clairvaux (1090–1153) wurde sie zum vollkommenen Vorbild der Liebe. Obwohl er nicht viele Schriften über sie verfasste, zählt er doch zu ihren größten Verehrern. Für ihn ist Maria Mittlerin, die uns zum eigentlichen Mittler, Christus, führt: „Wir können keine stärkere Fürsprecherin finden als Maria, die Mittlerin aller Gnaden“, schreibt er.
Hier ein Teil des Textes der Generalaudienz von Papst Benedikt XVI, am 21. 10. 2009, über den Heiligen:
„Ich möchte jetzt nur auf zwei zentrale Aspekte der reichen Lehre Bernhards eingehen: Sie betreffen Jesus Christus und die allerseligste Jungfrau Maria, seine Mutter. [….]
[….] In einer anderen berühmten Predigt zum Sonntag in der Oktav von Mariä Himmelfahrt beschreibt der heilige Abt mit leidenschaftlichen Worten die innige Teilhabe Mariens am Erlösungsopfer des Sohnes. »O heilige Mutter« – ruft er aus – »wahrhaftig hat ein Schwert deine Seele durchbohrt!… Dabei hat die Gewalt des Schmerzes deine Seele so durchdrungen, daß wir dich zu Recht mehr als eine Märtyrerin nennen dürfen, da in dir die Teilhabe am Leiden des Sohnes in ihrer Stärke weit über die leiblichen Leiden des Martyriums hinausgegangen ist« (14: PL 183,437–438).
Bernhard hat keine Zweifel: »per Mariam ad Iesum«, durch Maria werden wir zu Jesus geführt. Er bestätigt mit Klarheit die Unterordnung Mariens unter Jesus, entsprechend den Grundlagen der traditionellen Mariologie. Aber der Hauptteil der Predigt bestätigt auch den bevorzugten Platz der Jungfrau in der Heilsökonomie infolge der ganz besonderen Teilhabe der Mutter am Opfer des Sohnes (»compassio«). Nicht umsonst wird eineinhalb Jahrhunderte nach Bernhards Tod Dante Alighieri im letzten Gesang der Göttlichen Komödie auf die Lippen des »Honigfließenden Lehrers« das erhabene Gebet an Maria legen: »Jungfrau und Mutter, Tochter deines Sohnes, / vor allen Wesen groß und voll von Demut, / vorbestimmtes Ziel im ewigen Rate …« (»Vergine Madre, figlia del tuo Figlio, / umile ed alta più che creatura, / termine fisso d’eterno consiglio, …« Paradies 33, Verse 1 ff.).”
Und hier ein Teil aus der berühmten Predigt des heiligen Bernhard, (Hom. II super »Missus est«, 17) in der wir sein vollkommenes Vertrauen in unsere himmlische Mutter, der heiligsten Jungfrau Maria sehen können:
*„Der Name der Jungfrau war Maria“ (Lk 1,27). Reden wir kurz über diesen Namen. Übertragen heißt Maria „Meeresstern“. Der Name ist dem Wesen der Mutter Jungfrau gar schön angepaßt. … Sie ist fürwahr ein wunderbarer Stern. Ohne selbst an Leuchtkraft zu verlieren, sendet der Stern sein Strahl hinaus; ohne die geringste Verletzung ihrer Reinheit schenkt uns die Jungfrau ihren Sohn. Der Strahl vermindert nicht des Sternes Glanz, so mindert auch der Sohn nicht die Unversehrtheit der Jungfrau. Sie ist jener wunderbare Stern, der aus Jakob aufgegangen ist. (4. Mos. 24,17). Sein Strahl leuchtet in den Höhen und dringt auch hinab in die Tiefen. Sein Licht überflutet die ganze Erde; erwärmt die Herzen mehr als den Leib; hegt die Tugend, versengt das Laster. Maria, sage ich, ist jener wundervolle, unvergleichliche Stern, der ganz natürlich hoch überm großen, weiten Meere schimmert im Glanze herrlicher Verdienste und leuchtet durch das Beispiel. Du merkst es, im Strudel dieses Lebens wirst du mehr von Wind und Wetter hin- und hergeworfen und wandelst nicht so sicher auf dem festen Boden.
Willst du, daß dich die Brandung nicht verschlinge, so halte dein Auge unverwandt auf diesen funkelnden Stern. Toben Stürme der Versuchung in dir, fährst du auf die Klippen der Trübsal auf, dann schau nach dem Sterne aus, ruf zu Maria! Schleudern dich die Wogen der Hoffart, der Ehrsucht, Ehrabschneidung, Eifersucht umher, schau nach dem Sterne aus, ruf zu Maria! Zorn und Habgier und Lockungen des Fleisches erschüttern das Schifflein deines Geistes – schau nach dem Sterne aus, ruf zu Maria! Wenn du verstört durch entsetzliche Meintat, verwirrt durch ein böses Gewissen, geschreckt durch das Gericht daran bist, in einen Abgrund von Trostlosigkeit und im tiefen Schlund der Verzweiflung zu versinken, denk an Maria! In Gefahr, in großer Not, in Zweifeln, denk an Maria, ruf zu Maria! Ihr Name weiche nie von deinen Lippen, weiche nie aus deinem Herzen! Um die Hilfe ihrer Fürbitte zu erlangen, wende dein Auge nicht ab vom Spiegel ihres Lebens! Wenn du ihr folgst, so kommst du nicht vom Weg ab; wenn du sie anrufst, brauchst du nicht zu verzagen. Denkst du an sie, wirst du nicht irre gehen. Hält sie dich, wirst du nicht fallen; beschirmt sie dich, wirst du nicht bangen. Wenn sie dich führt, wirst du nicht ermatten; wenn sie dir gütig, wirst du glücklich ans Ziel gelangen… … und so an dir selbst erfahren, wie mit Recht gesagt ist: „Der Name der Jungfrau war Maria.“
Mögen wir, wie der heilige Bernhard von Clairvaux, mit demselben Vertrauen an der Hand der Muttergottes durch unser Leben gehen!
*Zweite Homilie in: Die Schriften des honigfließenden Lehrers Bernhard von Clairvaux – Nach der Übertragung von Dr. M. Agnes Wolters S.O. Cist. Ansprachen auf die kirchlichen Zeiten, Georg Fischer Verlag, Wittlich, S. 83, 84.