Zuweilen kommt es vor, dass die Anzahl der Befehle, mit denen ein Kind im Alltag konfrontiert ist, so inflationär hoch ist, dass die Situation regelrecht unübersichtlich wird und schon von daher außer Kontrolle gerät. Hierdurch wird das Gehorchen lernen nicht gefördert. Um daher den Kindern das Gehorchen leicht zu machen, sollten die Gebote und Verbote von Seiten der Eltern nach Möglichkeit so wenig wie nötig und zugleich so klar wie möglich sein.
Dazu empfiehlt sich die sorgfältige Unterscheidung zwischen Gebot und Rat. Denn zwischen beiden besteht ein bedeutsamer Unterschied.
Jedes Gebot oder Verbot von Vater und Mutter gilt als Befehl, der klaren Gehorsam fordert. Die entsprechenden Anweisungen sollten keinen doppelten Sinn zulassen und für das Kind hinreichend verständlich sein. Denn wie sollte ein Kind gehorchen, wenn es gar nicht weiß, was die Mutter will?
Ist aber etwas ein Rat, dann ist es eine Empfehlung. In solch einem Fall bleibt ein Freiraum für die eigene Beurteilung und Entscheidung des Kindes.
Müsste es nicht verwirren, wenn etwas, was eigentlich als Rat gedacht ist, als Befehl formuliert wird? Schon im Wortlaut sollte das Kind erkennen, ob etwas ein guter Rat oder ein strikter Befehl ist. Mit ein wenig Übung ist diese Unterscheidung gar nicht schwierig.
Dazu ist erforderlich, dass die Eltern die Situation richtig einschätzen, denn manchmal bedarf es tatsächlich eines Befehls. Sehr häufig aber ist ein Rat pädagogisch viel sinnvoller, weil er die Kinder zum eigenen Denken und Urteilen motiviert. Wo Kinder wissen, dass die Eltern nur im Notfall befehlen, werden sie ihren Anweisungen umso bereitwilliger folgen.
„Mach das so!“ ist ein Befehl. Wenn ich aber sage: „An deiner Stelle würde ich es so machen“ oder: „Meinst du nicht, so wäre es besser?“, bleibt dem Kind die Freiheit zum eigenen Urteil. Das Gewicht eines Rates liegt nicht in der Drohung, sondern in seiner Vernünftigkeit und in der Liebe zu den Eltern, denn wo Liebe herrscht, hört man aufeinander. Kluges Raten, verbunden mit einleuchtenden Begründungen, ist anspruchsvoll und bietet anregenden Stoff für die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern.
Mancherorts gibt es eine wahre Inflation von Befehlen vor allem bei Tisch: „Sitz gerade! Lege die Hand auf den Tisch! Mach den Mund leer! Mach den Löffel nicht so voll! Sei still!“ – Das alles sind Befehle. Wollte man sie während eines einzigen Mittagessens zählen, würde man wohl staunen.
Eltern, welche die ungute Gewohnheit haben, alles in Befehlsform zu sagen, gewöhnen sich tragischerweise daran, dass ein Großteil ihrer Befehle sowieso nicht befolgt wird. Dabei empfinden sie eine Art von Hilflosigkeit, die sich nicht selten in „heißer Luft“ mit einer verschärften Tonlage und immer neuen Befehlen und Drohungen entlädt, ohne ihrem Wort wirklich Nachdruck zu verleihen. Als Frucht der Gewöhnung an das Nicht gehorchen entsteht im Kind das Laster des Ungehorsams und in den Eltern das Übel der Resignation.
Quelle: Logik der Liebe – P. Martin Ramm FSSP – Grundlegendes und Konkretes zu Ehe, Familie und Menschsein – Thalwil 2017 – Seiten: 174ff.