Hat jede Nation einen Schutzengel und eine von Gott gegebene Aufgabe? Das Beispiel von Portugal
In Portugal wird am 10. Juni der Tag des Schutzengels des Landes begangen. Es handelt sich um eine sehr alte Andacht, die tief mit einem göttlichen Auftrag für Portugal verbunden ist — ein Auftrag, der bereits seit den Anfängen Portugals signalisiert wurde, etwa beim sogenannten „Wunder von Ourique“, bei dem Jesus zu Dom Afonso Henriques, dem ersten König Portugals, sprach. Dabei stärkte er die Unabhängigkeit der Nation und wies auf ihre spirituelle Mission hin, insbesondere während der maritimen Expansion im 15. und 16. Jahrhundert. Es lohnt sich, den Bericht von Frei António Brandão in Erinnerung zu rufen, in dem Jesus zu dem jungen König sagt:
„In dir und deinem Geschlecht will ich ein Reich für mich gründen, durch dessen Unternehmungen mein Name fremden Völkern verkündet wird“
(A. BRANDÃO, Crónica de D. Afonso Henriques, Porto, Livraria Civilização, 1945, S. 9).
Die Andacht zum Engel Portugals in Fátima
Diese übernatürliche Berufung Portugals führte dazu, dass sich im Laufe der Geschichte verschiedene besondere Formen der Frömmigkeit entwickelten. Eine davon war die allmähliche Entstehung der Andacht an den Schutzengel Portugals, genauer gesagt an den „Schutzengel des Königreichs“. Auf Bitten der portugiesischen Könige wurde diese Andacht Anfang des 16. Jahrhunderts von den Päpsten anerkannt und war sehr beliebt.
Mit der Zeit jedoch, insbesondere mit dem Aufkommen positivistischer Strömungen in der portugiesischen Kultur ab dem 18. und 19. Jahrhundert, nahm diese Andacht stark ab.
Im Jahr 1916 jedoch erhielt der Engel Portugals in Fátima erneut eine zentrale Rolle, als er den drei Hirtenkindern Lúcia, Francisco und Jacinta erschien. Er stimmte ihre Herzen auf die Herzen Jesu und Mariens ein, um sie auf die große Mission vorzubereiten, die ihnen 1917 mit den Marienerscheinungen anvertraut wurde.
Zur Zeit von Papst Pius XII. erlebte die Andacht zum Schutzengel Portugals einen großen Aufschwung, insbesondere dadurch, dass sein Gedenktag offiziell in den liturgischen Kalender Portugals aufgenommen wurde.
Es lohnt sich, auf die Visionen des Engels von 1916 zurückzublicken, da sie die besondere Mission jedes Schutzengels — in diesem Fall des Engels jeder Nation — aufzeigen.
Anbetung: Das zentrale Element der Botschaft von Fátima und der Weg zum Frieden
Ein zentrales Element, das in der Botschaft des Engels an die Kinder erscheint, ist die Anbetung. Bei der ersten Erscheinung im Frühling 1916 lehrt er das Gebet:
„Mein Gott, ich glaube, ich bete Dich an, ich hoffe und ich liebe Dich. Ich bitte Dich um Verzeihung für jene, die nicht glauben, nicht anbeten, nicht hoffen und Dich nicht lieben.“
Man bemerkt, dass der Engel die Anbetung zwischen die theologischen Tugenden — Glaube, Hoffnung und Liebe — stellt und damit die volle Verwirklichung des Lebens in Beziehung zu Gott aufzeigt.
Diese Erscheinung geschah mitten im Ersten Weltkrieg, nach Jahrzehnten, in denen Europa sich von Gott abgewandt hatte: Einerseits hatte sich das Denken dem Positivismus und Materialismus ergeben, wodurch Gott als Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens verschwand; andererseits ließ die industrielle Revolution die Menschen glauben, es gebe keine Grenzen mehr für den menschlichen Fortschritt. Dies mündete in einen Weltkrieg, denn wenn Gott vergessen wird, ist das erste Opfer immer der Mensch.
Die gesamte Botschaft von Fátima konzentriert sich auf das Gebet für den Frieden und ruft zur Umkehr und zur Rückkehr zu Gott auf. Diese Umkehr ist nur dann echt, wenn sie mit der Anbetung verbunden ist, denn gerade darin erkennt der Mensch sich selbst als Geschöpf und ehrt Gott als Schöpfer. Die Grundlage der Anbetung ist also die Demut.
Die Mission des Engelboten
„Engel“ bedeutet „Bote“ und beschreibt damit seine Mission. Diese Mission geschieht immer im Auftrag Gottes. Da der Schutzengel Portugals die Botschaft der Einladung zur Anbetung überbringt, erkennen wir: Erst wenn der Mensch — sowohl individuell als auch als Gesellschaft — Gott als transzendente Grundlage des Lebens, der Ordnung und des Gesetzes anerkennt, kann wahrer Frieden gefunden werden.
Der Schutz, den der Engel Portugals bietet, weist auf das richtige christliche Leben hin: ein Leben für Gott. Dies wird noch klarer in der dritten Erscheinung des Engels in Fátima — im Herbst 1916 —, als er den Hirtenkindern mystisch die Heilige Kommunion reicht.
Die Kirche ist eine eucharistische Gemeinschaft, denn Gott geht mitten unter seinem Volk. Wir können ihn jederzeit im Tabernakel anbeten oder auch, wo immer wir sind, unser Herz und unseren Geist zu ihm erheben, um ihn zu loben, ihm zu danken und ihm Gesellschaft zu leisten, so wie es der heilige Francisco Marto tat. Er zog sich oft aufs Feld zurück, um allein mit dem Herrn zu sein und ihn zu trösten.
Daher ist die christliche Gesellschaft nicht nur die Verwirklichung menschlicher Werte, die Jesus gelehrt hat: Er selbst führt und ist mitten in dieser menschlichen Gemeinschaft gegenwärtig.
Diesen Tag des Schutzengels feiern — der in Portugal auch der „Tag Portugals“, der Tag der portugiesischen Gemeinschaften und der Gedenktag an Luís de Camões (Dichter) ist — bedeutet immer, anzuerkennen, dass eine Nation auch eine übernatürliche Berufung hat, auf die sie nicht verzichten kann. Diese Berufung bringt eine Verantwortung mit sich, die nur im Vertrauen auf die göttliche Gnade gelebt werden kann.
P. Ricardo Figueiredo, Priester. Doktor der systematischen Theologie an der Katholischen Universität Portugal