Pater Pio litt unter unerklärlichen Gesundheitsproblemen, die ihm auf mysteriöse Weise 7 lange Jahre fast täglich Fieber, Schmerzen und Erbrechen brachten, was ihn sehr schwächte. Er blieb deshalb zuhause in Pietrelcina. Er war als Soldat einberufen worden, wurde aber eben wegen dieses Zustands freigestellt.
Er kam in das Kloster Sant’Anna in Foggia, um sich um die im Sterben liegende Raffaelina Cerase, seine geistliche Tochter, zu kümmern, danach sollte er wieder nach Hause reisen. Sein Provinzialoberster aber, Pater Benedetto Nardella, traf ihn dort und erklärte ihm: „Bruder Pio, du musst in diesem Kloster bleiben, tot oder lebend. Schreibe nach Hause und lass dir deine Sachen herbringen.“ Er verblieb vom Februar 1916 bis zum 4. September des gleichen Jahres. Auch dort sahen seine Mitbrüder schon sein tiefes Gebetsleben. Täglich meditierte er vier Stunden über das Leben unseres Herrn, betete mehrere Novenen, nicht weniger als fünf ganze Rosenkränze, abgesehen von der hl. Messe und den Stundengebeten des Klosters. Dies alles nährte sein geistliches Leben, es ist ein respektvolles und liebevolles Verhalten zu Gott, zu Jesus, der Muttergottes und den Heiligen. Es ist eine tiefe Teilnahme am göttlichen Leben, am dreieinigen Leben Gottes.
Für jemanden wie Pater Pio, der aus gemäßigteren Regionen kam, war aber das erdrückende Klima des glühend heißen Tavoliere etwas Tödliches, wie aus diesem Brief an Pater Benedetto hervorgeht: „Mein Kopf schmerzt stark und in bestimmten Momenten kann ich meine Gedanken wegen der Hitze nicht ordnen“ (13.08.1916). Diese Stadt, die nur sechsundsiebzig Meter über dem Meeresspiegel liegt, verwandelt sich im Sommer in einen Backofen.
Im Juli fand das Fest der Heiligen Anna statt, der die Klosterkirche geweiht war. Zur Vorbereitung wurde eine Novene gebetet, an der alle teilnehmen konnten. Für die Predigten wurde jedes Jahr ein Priester von außerhalb eingeladen.
Der Gastprediger dieses Jahres war Pater Paulino, der Pater Pio sehr schätzte. Er war schockiert über den Gesundheitszustand des Mitbruders, der kaum noch stehen konnte. Seine Situation war wirklich alarmierend.
Er konnte nicht einmal ein wenig von den Mahlzeiten im Magen behalten. Von der drückenden Hitze geplagt, lief er von einer Seite zur anderen, ohne zur Ruhe zu kommen. Manchmal ging er ins Zimmer, manchmal setzte er sich für ein paar Minuten auf einen alten Sessel. Es musste unbedingt etwas für den Mitbruder getan werden. Aber was? Zuallererst musste man ihn aus diesem Heizofen herausbringen.
Am Ende der Novene lud Pater Paulino ihn ein, einige Zeit in San Giovanni Rotondo zu verbringen. Dort könnte er wenigstens ein wenig frische, gesunde Luft atmen. Damals war es noch ein kleines Dorf, hoch oben im Gargano, etwa dreißig Kilometer von Foggia entfernt. Das Klima dort würde für ihn besser sein und er würde auch den wenigen Brüdern Gesellschaft leisten können, die nicht zur Armee einberufen worden waren.
Pater Pio nahm die Einladung an und fühlte sich gleich nach seiner Ankunft erleichtert. Er fühlte sich wie neugeboren. Da er jedoch intuitiv wusste, dass der Provinzial besorgt sein würde, wenn er nach San Giovanni Rotondo ginge, wo er die dortigen Seminaristen anstecken könnte, kehrte er nach einigen Tagen nach Foggia zurück.
Von dort aus schrieb er dem Oberen:
„Ich komme, um euch um eine Tat der Nächstenliebe zu bitten, und ich bitte euch umso mehr, als Jesus mich drängt. Er sagt mir immer wieder, dass ich meine körperliche Verfassung ein wenig verbessern muss, um für die anderen Prüfungen, denen er mich unterziehen wird, vorbereitet zu sein. Die Gunst, um die ich euch bitte, ist, dass ihr mich eine Zeit lang in San Giovanni Rotondo verbringen lasst, wo Jesus mir versichert, dass es mir besser gehen wird“.
Abschließend sagte er, dass seine Krankheit nur ihn selbst betreffe, nicht andere.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten und war positiv…, aber wegen der Krankheit nur vorübergehend. Und so verließ Pater Pio am 4. November 1916 Foggia für immer.
„Die neue Umgebung tat ihm so gut, dass man schon nach kurzer Zeit einen Unterschied feststellen konnte“, so Pater Paulino: „Er atmete mit Freude die frische Luft der Berge, die das Kloster umgaben, und fühlte nicht mehr jene Müdigkeit und Schwere, die ihn im stickigen Klima von Foggia erdrückten. Sein ganzes Wesen wurde sichtlich wiedergeboren.“
In dem fast verlassenen Kloster half er den Fratini (den jungen Seminaristen), hörte die Beichte, betete mit ihnen, kämpfte gegen den Teufel und bot sich Gott für sie als Opfer an. Zu Beginn stieß er auf ein gewisses Misstrauen, das er nach und nach überwand, bis er ihre Herzen ganz für sich gewann.
„Sein Lehrstuhl für uns“, schreibt der zukünftige Pater Frederic de M. Valforte, „war die Kapelle, in der er lange Stunden auf den Knien in Anbetung verbrachte. Mit der rechten Hand entwirrte er immer wieder den großen Rosenkranz. Um Mitternacht verließ er den Chor, um danach in seinem Zimmer sein Zwiegespräch mit Gott fortzusetzen.“
Das Problem der Unvereinbarkeit zwischen seiner als Tuberkulose diagnostizierten Krankheit und seinem täglichen Kontakt mit den Seminaristen wurde durch die Erkenntnis gelöst, dass er
1. trotz seiner Krankheit und der von den Ärzten prognostizierten Lebenserwartung noch am Leben war;
2.keiner von denen, mit denen er zusammenlebte, an der Krankheit gestorben war; außerdem waren bei ihm keine typischen Krankheitssymptome zu erkennen.
Gleichzeitig mit den Fratini kümmerte er sich um diejenigen, die ihn aufsuchten. So geschah es dass immer mehr Menschen zu ihm in den Beichtstuhl fanden. So viele, dass seine Vormittage nicht selten komplett belegt waren.
Seine Leitlinien sind sehr einfach, traditionell und vor allem praktisch. Grundlegende Prinzipien des christlichen Lebens, die angepasst an jeden Einzelnen vorgeschlagen werden und die darauf abzielen, die Gewohnheit des Gebets zu fördern, indem sie lehren, wie man betet, wie man meditiert und wann man dies am besten tut…
„Dafür gibt es mehrere, vielleicht sogar sehr viele und sehr komplizierte Methoden“, sagte er. „Jede Methode ist gut, wenn sie das Gebet fördert. Und es ist notwendig, zumindest am Anfang auf dem Weg der Perfektionierung, die Anfänger vor der Gefahr zu bewahren, sich in der Leere zu verlieren“.
Mit dem Kommen Pater Pios nach San Giovanni Rotondo begann eine neue Hoffnung, eine neue Mentalität, eine neue Lebenskraft in diesem Umfeld zu entstehen, in dem „die Bevölkerung in einer tiefgründigen religiösen Hingabe lebte. Nach und nach“, erinnert sich Mischitelli, der dort lebte und auch dort geboren war, „wurden die Bewohner des Dorfes auf den Neuankömmling aufmerksam und entdeckten in seinem Gesicht, in seinem Gang, in seiner Redeweise, in seiner Feier der hl. Messe etwas Neues, beziehungsweise etwas Vertrautes. Einfache Menschen stellen sich nicht viele Fragen.
In solchen Fällen folgt man der Intuition, die vonden Vorfahren stammt. Und darin liegt das Verdienst dieser einfachen Leute: dass sie die Außergewöhnlichkeit dieses Mönchs, der Gott und die frische Luft benötigte—ein Geschenk des Himmels an die Kirche war, die ebenfalls diese frische Luft benötigte—erkannt haben.“
Wir können etwas von dieser neuen Hoffnung und Mentalität, dieser neuen Lebenskraft mitbekommen, wenn wir auf das tief mit Gott verbundene Leben Pater Pios schauen. Versuchen wir auch, immer mehr—unserem Lebensstand entsprechend—so tief mit Gott verbunden zu leben, um wahren Frieden zu finden und ihn weitergeben zu können; an der Hand der Allerheiligsten Jungfrau Maria.